Materialien "Kinderzimmer"

Staunen, über die Fähigkeit Lernen zu können

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Aus der Sicht eines Bildungswissenschaftlers

„Das Lernen ist eine menschliche Praxis, in deren Vollzug wir nachhaltig Möglichkeiten für uns gewinnen. Lernen ist Aneignung von Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten sind immer auch Gestaltungen unserer konkreten Wirklichkeit, unseres sozialen Miteinanders und des Bildes, das wir von uns haben. Das heißt aber auch – anders als bei einer Anpassungslogik –, dass sich unsere Wirklichkeit durch das Lernen verändert. Wir lernen, indem wir die Dinge anders sehen. Das ist der Unterschied zum reaktiven Lernen, das selbst das, worauf es reagiert, nicht zu ändern vermag.“

Andreas Dörpinghaus


Aus der Sicht des Neurobiologen

Die Fähigkeit zu Lernen ist Ausdruck der Lebendigkeit… Ohne diese Lernfähigkeit hätte das Leben weder entstehen noch seine Vielfalt an Lebensformen herausbilden können. Lernen ist das Ergebnis der fortwährenden Versuche all dieser ­­Lebewesen, einen verlorengehenden Ordnungszustand wiederherzustellen. In einer durch die Aktivitäten anderer Lebewesen sich ständig verändernden Lebenswelt ist aber genau das niemals erreichbar. Möglich ist es aber, dass ein in seiner inneren Ordnung gestörtes Lebewesen „lernt“, seinen eigenen inneren Ordnungszustand so zu verändern, dass anschließend alles wieder besser zusammenpasst (kohärenter und damit energiesparender ist). Ausgangspunkt all dieser Lernprozesse ist eine „subjektive“ Empfindung des betreffenden lebendigen Wesens, ein Gefühl oder ein Spüren, dass jetzt etwas nicht mehr so ist, wie es sein sollte.“

Gerald Hüther


 Aus der Sicht Salomos

„Höre, meine Tochter, mein Sohn, und nimm meine Worte an,
und viele Lebensjahre wirst du haben.
Im weisen Verhalten habe ich dich unterrichtet;
auf richtige Wege habe ich dich geleitet.
Deine Schritte werden nicht gehemmt werden,
und wenn du läufst, wirst du nicht stolpern.
Halte die Belehrung fest und lass sie nicht los;
behüte sie, denn sie ist dein Leben.

Sprüche 4, 10-13


Aus der Sicht eines Poeten

Das dritte Licht

Nach der Sonne

und nach dem Mond

– und ein kaum geringeres

kosmisches Ereignis:

der Widerschein des Alphabets

auf einem Gesicht.

Rainer Malkowski


Aus der Sicht einer Dichterin

ich will nicht aufhören

zu preisen

was mir die augen

beschlägt

wie freude

mich auszehrt

von der wurzel

anfangen

am ende

fortsetzen

Doris Runge

Ihr könnt euch die  begleitende Audio-Datei direkt hier anhören.

Interaktion 1

Was bedeutet Lernen für Dich?
Was lässt Dich Staunen, wenn Du an das Lernen denkst?

Welche formalen Lernereignisse haben Dich besonders geprägt?

Welche informellen Lernereignisse haben Dich besonders geprägt?


Interaktion 2

Was möchtest Du unbedingt noch lernen?
Was ist Dein erster Schritt dahin?

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Staunen, über das Besondere im Einfachen

Aus der Sicht einer Ozeanologin

„Man kann in jedem Alter staunen. Neugierig sein. Offen.“

Sylvia Earle

 

Aus der Sicht eines Orientalisten

„Und eigentlich geht es immer darum, dieses Staunen, dieses Nichtverstehen zwar nicht aufzulösen und zu sagen, jetzt habe ich es aber kapiert, genau mitzuteilen seine eigene Irritation, seine eigene Begeisterung […] zu übermitteln.“

Navid Kermani

 

Aus der Sicht einer Erforscherin des Staunens

„Immer aber ist Staunen verbunden mit der Eröffnung eines Möglichkeitsraums, den dann die Imagination des Staunenden ausgestaltet: Staunen fungiert dann als Motor der Einbildungskraft, deren Tätigkeit sich ihrerseits als entscheidend für die Intensität der Illusion oder sogar Immersion in die andere Welt erweist und so das Staunen noch perpetuiert.“

Nicole Gess

 

 Aus der Sicht zweier Theolog*innen

„Staunen heißt, wie Gott die Welt nach dem 6. Tag wahrnehmen. Also sagen können: Es ist gut!“

Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky

 

Aus der Sicht der Schrift

„Was haben wir denn in die Welt mitgebracht? Nichts! Was können wir aus der Welt mitnehmen? Nichts! Wenn wir also Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen.“

1 Timotheus 6, 7-8

Interaktion 1

Nehme ein Brot in die Hand, vielleicht sogar eines, das Du selbst gebacken hast.
Widme Deine ganze Aufmerksamkeit diesem Brot.

Schließe Deine Augen.

Wie fühlt sich das Brot an in Deiner Hand?

Wie riecht es?

Welche Geräusche macht es?

Streiche mit Deiner Zunge am Brot entlang.

Breche oder schneide ein Stück ab.

Ändert sich der Duft?

Die Geräusche?

Lege ein Stück des Brotes auf Deine Zunge.

Kaue langsam.

Beschreibe den Geschmack.


Beschreibe, was Du erlebst, in dem Du Deine Beobachtungen laut aussprichst und eine Lobrede auf das Brot
hältst.


Worüber staunst Du?


Diese Übung kannst Du regelmäßig mit anderen Gegenständen wiederholen, z. B. mit einem Glas Wasser,
einer Zitrone, einem Apfel, einer Pflanze. Auch Ereignisse eignen sich für diese achtsame Betrachtung, z. B. beim Händewaschen oder Einkremen, einer bestimmten Arbeitsroutine, dem Schuheputzen, einem Waldspaziergang.

Interaktion 2

Starte eine No-Buy-Challenge.


Definiere einen Zeitraum – einen Tag, eine Woche, einen Monat – in dem Du nichts, außer Lebensmitteln
und Dingen des täglichen Bedarfs, kaufst. Dabei kann Dir ein roter Klebepunkt im Portemonnaie oder auf der Geld- oder Kreditkarte helfen, im kritischen Moment des Bezahlens noch einmal kurz innezuhalten und zu prüfen, ob Du den Gegenstand wirklich kaufen willst.


Was lässt Dich auf dieser Reise staunen?

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Aus der Sicht eines Sozialphilosophen

Max Horkheimer antwortet in einem Interview:

H. G.: „Theologie als Ausdruck einer Hoffnung?“

Max Horkheimer: „Ich möchte lieber sagen: Ausdruck einer Sehnsucht, einer Sehnsucht danach, daß der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge.“

Max Horkheimer

 

Aus der Sicht eines Kirchenlehrers

„Das Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen.“

Thomas von Aquin

 

Aus der Bibel

„Sammle dich, komm zusammen, du Volk ohne Sehnsucht!“

Das Buch Zefanja, 2,1

 „Wenn ein Volk keine Vision hat, verwildert es;
wenn es sich an die Weisung hält, wird es glücklich.“

Das Buch der Sprüche 29,18

 

Aus der Sicht der Bildungsforschung

Eine Forscher*innengruppe um Paul B. Baltes unterscheidet sechs wichtige Merkmale der Sehnsucht:

„(1) Unerreichbarkeit einer persönlichen Utopie: Sehnsucht ist die Vorstellung davon, was das «perfekte Leben» wäre. Das ist zwar nie erreichbar, aber jeder Mensch hat eine ganz persönliche Vorstellung davon, wie dieses «perfekte Leben» aussehen würde.  Für den einen ist dies das Zusammenleben mit einem Partner in unzerstörbarer Harmonie, für den anderen ein Leben in vollkommener Unabhängigkeit und Autonomie. 

 (2) Unvollkommenheit und Unfertigkeit des eigenen Lebens: Zum Beispiel: Ich weiss, dass ohne die grosse Liebe, nach der ich mich sehne, mein Leben nie ganz vollkommen ist.

(3) Dreizeitigkeitsfokus: Sehnsucht ist immer auf die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft ausgerichtet. So zum Beispiel ein Vater, der sich nach seinem verstorbenen Sohn sehnt, der ihm in seinem gegenwärtigen Leben fehlt und der sich nichts mehr wünscht, als dass die Zeit mit seinem Sohn wiederkehren werden.

(4) Bittersüsse Gefühle: Süss sind die Phantasien vom Ersehnten, von dem, was das Leben perfekt machen würde. Bitter ist das Wissen darum, dass es sich dabei um etwas Unerreichbares handelt. 

(5) Rückschau und Lebensbewertung: Sehnsucht dient auch zur Bewertung des eigenen Lebens. Bin ich auf dem richtigen Weg? Was fehlt in meinem Leben? Wohin soll es gehen?

(6) Symbolcharakter: Meist stehen Sehnsüchte für etwas anderes.  Man sehnt sich nach einem schnellen Sportflitzer, der für Unabhängigkeit, Freiheit und Unbeschwertheit steht.“

Paul Baltes

Ihr könnt euch die  begleitende Audio-Datei direkt hier anhören.

Bitte beachten:
Sehnsüchte sind mächtig, achte gut auf Dich, wenn Du Dich mit diesem Thema beschäftigst.
Prüfe aber auch, ob Du Dich an der Rand Deiner Komfortzone bewegen möchtest, oder vielleicht sogar ein wenig darüber hinaus. Du wirst staunen, was Du entdecken wirst.


Interaktion 1

In der Anlage findest Du zwei Vorlagen. Drucke sie aus, wenn Du magst und erstelle Dir zwei Collagen, eine zum Thema „Gestillte Sehnsüchte“, eine zu noch „Unerfüllte Sehnsüchte“. Klebe Fotos ein oder kurze Textpassagen.
 
Spüre zunächst den „Gestillten Sehnsüchte“ nach.
  • Was lässt Dich diesbezüglich Staunen?
  • Was fühlst Du? Denkst Du?
  • Was hat sich für Dich verändert, dadurch, dass sich diese Sehnsüchte erfüllten.

Nun wende Dich den noch „Unerfüllten Sehnsüchten“ zu.

  • Was erstaunt Dich an dieser Übersicht?
  • Prüfe, ob Du allen folgen möchtest. Darf die eine oder andere
    Sehnsucht verabschiedet werden?
  • Mit welchen Hoffnungen verbinden sich die Sehnsüchte?
  • Gibt es eine, die größer ist als eine oder mehrere andere?
  • Was wirst Du als nächstes unternehmen, um diese Sehnsucht
    zu stillen?



Interaktion 2

Schaue Dir Heinrich Vogelers Bild an. Stelle Dir einen imaginären
Dialog mit der blauen Frau über Eure Sehnsüchte vor.

Wenn Du diese Interaktion in einer Gruppe durchführst, kann
jeweils eine Person die Rolle der blauen Frau übernehmen und

eine andere spricht von den eignen Sehnsüchten.

Im nächsten Schritt wechseln die Paare und die Person, die zuvor
die Rolle der blauen Frau eingenommen hat, darf nun über die

eigenen Sehnsüchte sprechen.

Nach der Interaktion:

  • Was habt Ihr entdeckt?
  • Was ließ Euch Staunen?

 



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