Materialien "Kirche"

Staunen, über die (Un)endlichkeit der Zeit

Aus der Sicht einer Mathematikerin

„Im Alltag kann ich mir Unendlichkeit nicht vorstellen und ich versuche es auch nicht. In der Mathematik dagegen muss ich natürlich ein Konzept von Unendlichkeit haben und das ist dann abstrakt“.

Rebecca Waldecker

 

Aus der Sicht eines Physikers

„Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher“.

Albert Einstein

 

Aus der Sicht eines Kirchenlehrers

„Was ist überhaupt die Zeit? Wenn niemand mich fragt, so weiß ich es; will ich es dem Fragenden auseinandersetzen, weiß ich es nicht: gleichwohl sagte ich zuversichtlich, ich wisse, es gäbe keine Vergangenheit, wenn nichts vorüberginge, und wenn nichts käme, gäbe es keine Zukunft, und wenn nichts wäre, gäbe es keine Gegenwart“.

Augustinus, Confessiones XI,14

 

Aus der Sicht der Bibel

„Siehe: Du machtest meine Tage nur eine Spanne lang; meine Lebenszeit ist vor dir wie ein nichts. Nur als Hauch steht jeder Mensch da“.

Psalm 39,6

 

Aus der Sicht eines Philosophen

„Das sind die wahren Mystiker, die im wesentlichen diese Endlichkeit des Lebens und diese Unendlichkeit anerkennen und sagen: `Hey, Ihr müsst die ganze Perspektive umdrehen.` Die wunderbare Tatsache, dass es uns gibt, dass wir Augen, Ohren und Sprache haben und damit nicht nur das wahrnehmen können, was in der Gegenwart ist, sondern aus der Gegenwart heraus Möglichkeiten der Vergangenheit und Zukunft zu wissen. Das ist das wahre, absolute Unendliche. Aber das ist natürlich ein sehr schwieriger Gedanke“.

Pirmin Stekeler – Weithöfer

 

 Zum Bild (Foto: © Ingrid Falke)

Weder eine Sanduhr noch eine liegende Acht siehst Du als gängige Symbole zum Thema (Un) Endlichkeit der Zeit. Es ist ein Bodenmosaik aus der Kirche San Vitale in Ravenna, die im 6. Jahrhundert erbaut wurde. Mosaike sind beliebte geometrische Muster und Sinnbilder für potentiell unendliche Ornamente. Sie sind zeitlos und ziehen in der islamischen und christlichen Kunst seit Jahrtausenden Besucher*innen in ihren Bann.

Ihr könnt euch die  begleitende Audio-Datei direkt hier anhören.

  1. Welche Vorstellung von der Unendlichkeit / Endlichkeit der Zeit hast Du? Tausche dich mit anderen aus.
  2. Nimm Dir Zeit, werde still und denke darüber nach, für welche Dinge Du in den letzten Tagen viel Zeit verwendet hast. Wer oder Was sind „Zeitdiebe“ in deinem Leben.
  3. Mit wem würdest Du gerne mehr Zeit verbringen; in der Familie, im Urlaub, bei einem ausgedehnten Abendessen oder beim geteilten Hobby?
  4. Wie erleben und erfahren deine Eltern, Großeltern oder ältere Verwandte und Weggefährt*innen die Endlichkeit ihres eigenen Lebens? Wie gehen sie damit um? Spreche sie an.
  5. Keine Zeit verlieren, es dauerte unendlich lange, das Rad der
    Zeit….Welche Redewendungen fallen Dir noch ein? Oder Zeitwörter wie: Zeitgenossin, Zeitalter, Zeitschrift, Zeitmanagement…. Welche Begriffe kannst Du in einer Gesprächsrunde ergänzen?
  6. As time goes by, Time of my life, The timesthey are a changin, Zeit zu gehen, Der du die Zeit in Händen hast… Welche Lieder und Songs der Musik zum Thema Zeit aus Klassik, Jazz, Rock und Pop oder Kirchenlied fallen Dir ein? Stelle eine Playlist zusammen und tausche dich mit anderen aus. Im Internet findest Du etliche Titel oder ggf. auch in deiner eigenen Platten- und CD-Sammlung.
  7. www.zeitverein.com – Der Verein zur Verzögerung der Zeit ist ein
    Netzwerk von Menschen, denen ein angemessener Umgang mit der
    Zeit ein Anliegen ist. Er regt zum Innehalten an und fordert zum
    Nachdenken dort auf, wo Aktivismus und partikulare Interessen
    Scheinlösungen produzieren. Hier will der Verein ein Gegengewicht
    setzen und Gruppen wie Organisationen dabei unterstützen, wieder in die Zeit – Balance zu kommen.

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Staunen, über die Endlichkeit des Seins

Memento Mori – bedenke, dass du sterblich bist.  

Quelle unbekannt

 

Wenn die Menschen wüssten, wie kurz das Leben ist, würden sie weniger hoffen und sehnen und mehr leben und weniger fürchten und mehr lachen und weniger schwindeln.

Werner Sprenger (1923-2003; Meditationslehrer und Schriftsteller) 
 

Der Mensch ist das einzige Wesen, das seine Toten begräbt. … Der Mensch ist das einzige Wesen, das nicht bereit ist, den physischen Tod als definitives Ende des Lebens hinzunehmen. 

Ernst Benz 

 

Was bleibt übrig, wenn man stirbt? Das was man der Gesellschaft gegeben hat, wenn das eigene Leben verschwindet. 

Marina Abramovic (*1946; serbische Künstlerin) 

 

Für uns Menschen sind die Unterschiede zwischen Tod und Leben ungeheuer groß. Für Gott fallen sie in eins zusammen. 

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945; evangelischer Theologe in der Bekennenden Kirche) 

Ihr könnt euch die  begleitende Audio-Datei direkt hier anhören.

Interaktion 1

An den eigenen Tod denken – das löst bei den meisten Menschen eher unangenehme Gefühle aus. Daher ist es umso erstaunlicher, wenn Menschen im Angesicht ihres Todes positive Gedanken formulieren.

So schreibt eine Frau zehn Jahre vor ihrem Tod auf ihren Küchenschrank:
„I die happy“.

Und ein katholischer Priester schreibt kurz vor seinem Tod an seine Freund*innen: „Ihr sollt nicht trostlos sein über den Tod oder über mein Sterben. Das „Stirb – Werde“ ist ein Lebensgesetz. Das kurze „Stirb – Werde“, das mir zugedacht war, ist so erfüllt von Glück, Leben, Liebe, dass ich euch allen nur dafür danken kann. …
Ich bin sehr, sehr glücklich; ich durfte vieles, was in mir war, in Büchern,
Aufsätzen, Vorträgen, Predigten und Werkstücken zum Ausdruck bringen. Und dies war immer so interessant, so überwältigend! In mir ist so vieles, was so ganz und gar „nicht-ich“ bin; ich durfte so viel geben und dabei immer erfahren, dass es nicht ich bin, der gibt; ich durfte dabei sein, wenn der
„Name Gottes“ „geheilt“ hat; … So konnte und wollte auch ich nichts anderes,
als dieses Glück, mein Glück (= seinen Namen) künden. Unser Stirb–Werde–Dasein hat nur diesen Sinn: das Glück, das Leben, die Liebe zu erfahren und im Erfahren erfahrbar zu machen.“

Ist es möglich, glücklich zu sterben? Was heißt das?

Interaktion 2

Die erfolgreiche Medienmanagerin Christiane zu Salm (*1966) hat nach einer persönlichen Krise eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin absolviert. Sie hat ganz normale Menschen in den letzten Wochen und Monaten besucht und die Sterbenden nach ihrem persönlichen Resümee gefragt. Christiane zu Salm hat diese Gespräche mit Sterbenden als großes Geschenk erfahren. Sie hat festgestellt, wie ehrlich Menschen am Lebensende mit sich umgehen, weil sie keine Angst mehr haben, die Erwartungen anderer
nicht zu erfüllen.

Gemeinsam mit ihnen hat sie Nachrufe auf ihr Leben verfasst (siehe Lesetipp). Für sich selbst hat sie erkannt, wie hilfreich es ist, das eigene Leben vom Ende her zu denken.

Schaue auch Du vom Ende Deines Lebens auf Dein bisheriges und jetziges Leben und frage Dich:

  • Was würde ich in meinem Leben genauso wieder machen?
  • Welche Werte sind mir wirklich wichtig?
  • Was muss ich in nächster Zeit tun, um diese Werte umzusetzen?
  • Wer will ich am Ende meines Lebens gewesen sein?

Lesetipp: Christiane zu Salm: „Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben.“

Interaktion – Staunen über die Endlichkeit des Seins – zum Download 

Interaktion – Staunen über die Endlichkeit des Seins – zum Download

(per Klick auf den Text startest Du den PDF-Download)

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Poetische Stimmen

«Die Erde ist mit Himmel vollgepackt
und jeder gewöhnliche Busch
brennt mit Gott.

Aber nur der, der es sieht,
zieht die Schuhe aus.
Die anderen sitzen herum
und pflücken Brombeeren.»

Elizabeth Barret Browning
The Poetical Works

 

«Halt an wo lauffstu hin /
der Himmel ist in dir:
Suchstu GOtt anders wo /
du fehlst Jhn für und für.»

Angelus Silesius
Der Cherubinische Wandersmann, 82

 

«Das verlorene Herz
sprach aus ihm
er suchte es zwischen den Büschen,
ein brennender unverzehrter Dornbusch
gab ihm das Wissen das er suchte
zurück»

Manfred Winkler
Haschen nach Wind

 

Stimme aus dem Dornbusch – Stimme eines Propheten

«G:tt rief ihn mitten aus dem Dornbusch an und sagte: „Mose, Mose!“ Er antwortete: „Hier bin ich.“ … Der Herr sprach: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ Mose antwortete G:tt: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ Er aber sagte: „Ich bin mit dir;“ …Mose fragte G:tt: „Wenn ich nun zu den Israeliten komme, ihnen sage ›Der G:tt eurer Väter hat mich zu euch gesandt‹, und sie mich fragen: ›Was ist sein Name?‹, was soll ich ihnen dann antworten?“ Da sprach G:tt zu Mose: „Ich bin »Ich-bin«“.»

Moses hat in Ägypten einen Aufseher erschlagen, der einen Mann seines Volkes geschunden hatte. Nach seiner Flucht hütet er am Rande einer Steppe die Schafe seines Schwiegervaters, als er einem Dornbusch begegnet, der brennt, aber nicht verbrennt …

Exodus 3,4-13

 

Stimme eines Geschichtensammlers

«Warum wählte Gott einen Dornbusch, um Moses darin zu erscheinen? Um seine Bescheidenheit darzutun: Der Dornbusch ist der kleinste und unscheinbarste unter den Bäumen.»

Nach Elie Wiesel: Adam oder das Geheimnis des Anfangs

 

Stimme eines Interpreten:

Gegenwart, Verheißung, Hoffnung

«GOTTES Verheißung [ Ich bin mit Dir ] schafft ein Gefühl für das Mögliche (Es wäre, wenn man die Furchtsamkeit der israelitischen Sklaven bedenkt, allerdings übereilt, von einem Gefühl des Selbstvertrauens zu sprechen.): Die Welt besteht nicht nur aus Ägypten. Ohne dieses Gefühl des Möglichen würde man die Unterdrückung als einen unausweichlichen Zustand empfinden, als persönliches oder kollektives Unglück, einen Schicksalsschlag.»

Michael Walzer: Exodus und Revolution

 

Stimme eines Liebenden

«Es ist, was es ist»

Erich Fried

Ihr könnt euch die  begleitende Audio-Datei direkt hier anhören.

Interaktion

Geh mit Dir oder mit jemand Anderem ins Gespräch:

  • Gibt es in Dir etwas, was gelebt sein will, aber durch
    Befürchtungen und Bedenken gebremst wird?
  • Welchen Zuspruch bräuchtest Du, wessen Beistand
    wäre hilfreich, um es zu leben?

Schau auf die poetischen Stimmen:

  • Kennst Du solche Brombeerbuscherfahrungen wie E.
    Barret Browning, einerseits die entdeckenden,

    andererseits die blinden?
  • Wo würdest Du „Himmel“ suchen“?
  • Kennst Du Erfahrungen wie Manfred Winkler sie
    beschreibt, vom wiedergefundenen Herz?

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